aLOCHamiento

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imageWir eilen. Eine reichliche Viertelstunde bleibt uns noch. 21 Uhr schließt die Rezeption des Hostals. Es klang restriktiv. Also lieber doch noch anrufen?
Am Telefon eine Männerstimme. Ja, 21 Uhr sei Schluss. Wir schinden noch fünf Minuten raus.

Madrider Häuser tragen Hausnummern, keine Selbstverständlichkeit in Spanien, hier aber unser Glück. Denn keine der sonst überreichlich vorhandenen Werbetafeln weist uns den Weg. Erst beim gründlichen Durchlesen der großen Klingeltafel finden wir’s hingekritzelt: 6. Etage.

Nach dem dritten Klingeln geht die Tür wirklich auf. Wir finden einen antiken Fahrstuhl – und zwängen uns zu zweit hinein.
Oben öffnet ein riesigergrauer Bart mit dunkler Sonnenbrille drüber. Drunter eine Art grünbraunes Männchen. Ganz oben thront über einer schwarzen Wollmütze noch ein schwarzes Basecap.
Geheimnisvoll flüsternd bittet uns der Bart hinein und erklärt uns flüsternd, dass wir zu spät seien. Er sei noch da, aber die Besitzerin müsse jeden Tag pünktlich um neun Abendbrot essen. so könne er uns jetzt nicht mehr hier unterbringen. aber er habe ein anderes Zimmer, sogar mit baño privado und großem Fenster. Ob uns das recht sei.
imageWir nicken, beeindruckt, eingelullt von der mystischen Atmosfäre und müde von der zehnstündigen Bustour. Das Bartmännlein geht. Kommt wieder mit dem Personalienzettel. Ob Marjana ihm beim Ausfüllen helfen könne. Natürlich. Aber in DEUTLICHEN Buchstaben. Marjana gibt sich Mühe. Es reicht nicht. Das J geht über den unteren Rand des vorgesehenen Kästchens hinaus. Nochmal, auf die nächste Zeile!
Dann will er 52 Euro haben, vier mehr als im Buchungstext des Internet. Meine fragenden Augen quittiert er mit der Anmerkung, dass vier für die Bettwäsche seien. Und ob wir noch Handtücher bräuchten. Wir lehnen ab.
Das Männlein gebietet uns zu warten und verschwindet hinter einem grünen Samtvorhang mit großer Tür. Wir hören ihn heftig telefonieren – und warten. Gelegenheit zum Umschauen. Eine verschachtelte Wohnung mit hohen Zimmern, alle dunkel. Nur in einem scheint jemand zu sein. Wieso können wir nicht hierbleiben? Und wie weit will der Kerl uns jetzt noch bringen?
Wir haben ausreichend Zeit, uns darüber einen Kopf zu machen, denn Männlein telefoniert heftig weiter. Nach zwanzig Minuten beschließe ich, dass es mir reicht, da öffnet sich die Tür.

Ich sage ihm deutlich, dass wir jetzt schon SEHR lange gewartet haben. Von nun an spricht er nur noch mit Marjana. Er präsentiert ihr drei, DREI, Schlüssel. Der mit den Einkerbungen, ja, der hier, der sei für die Außentür. Und genau der, ja der, auch für die Innenaußentür. Und der … halbrunde für die Wohnungstür. Und der, der eckige, für die Zimmertür. Verstanden? Na, er wiederholt es zur Sicherheit nochmal.
Marjanas Frage, wohin er uns eigentlich führe, wird mit dem Verweis auf nur drei Minuten beantwortet. Dann beginnt der Bart noch irgendwelche Dinge über Dresden und etwas, was wohl filosofisch sein soll, von sich zu geben. Meinen bösen Blick sehend, scheint ihm langsam zu dämmern, dass wir nur noch eines wollen: in unser Zimmer!
Also raus aus dieser Wohnung, rein in den Fahrst…, halt! Wir nehmen den andern.
Der ist etwas weniger antik, dafür, etwas, weniger größer.
Es dauert wirklich nur drei Minuten, dann stehen wir vor einer Hausnummer vier. Nochmal die Schlüsselerklärung, hier mit praktischer Demonstration. Erste Tür, zweite Tür (raus gehts hier mit dem Schalter, siehst du, alle beide Türen auf einmal, siehst du). Wir sehen.

Als nächstes einen ollen Hausflur, Briefkastenreihe. Kleiner Innenhof, nächster nicht weniger oller Hausflur. Gleich links unten die Wohnungstür. Halbrunder Schlüssel. LEISE MACHEN!
Wir stehen in einer Art Wohnungsflur, umdrehen mit Rucksack fast unmöglich. Das Männlein schleicht LEISE vor uns her, an drei Türen vorbei zur vierten. Eckiger Schlüssel!
imageDann stehen wir drin – und das Zimmer ist voll. Doppelbett, knapp drüber ein drittes, fünfzig Zentimeter Gang. Und, nein tatsächlich, Männlein findet hinter dem ganzen noch ein Klo und eine Dusche. Und hier: ein Waschbecken! Und hier: heißes Wasser! Und hier vorn: das Fenster!
Alles da, wie versprochen. Männlein ist stolz. Zeigt uns noch das WLAN-Passwort, im Gegensatz zum Karnickelbuchtzimmer wurde hier an Größe nicht gespart, 17 Zeichen, Buchstaben und Zahlen fröhlich gemixt. Dann Schlüsselkasten, übermorgen pünktlich elf Uhr raus sein! Nochmal der Hinweis auf LEISE. Und weg ist er.

In den folgenden Tagen lernen wir, auf einem Klo so zu sitzen, dass die Knie halb in die Dusche ragen. Wir lernen duschen ohne sich umzudrehen, für dieses Manöver hier bin selbst ich zu fett. Und wir lernen, dass auch mit dem großen Fenster in den dunklen Innenhof die Welt immer so aussieht, als begänne es morgens gerade so zu dämmern, auch wenn in Wirklichkeit schon hellster Mittag ist.
Unter diesen Umständen bekommt das spanische Wort für Unterkunft, alojamiento, einen für uns ganz neuen Sinn.