Die Ukraine beginnt in Dresden

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image– gleich hinter dem Hauptbahnhof.
Dein Bus fährt vor, der Fahrer steigt aus. Ab diesem Moment geht es Ukrainisch weiter. Oder Russisch. Oder Surdschik. Rjuksaky rein, Platz genommen. Und, ja, darauf haben wir nicht gewartet -noch ehe der Bus losrollt, geht die DVD an. Bis nachts um elf wird uns jetzt aus scheppernden Lautsprechern eine Folge nach der anderen der Serie „Veränderung in einem Augenblick“ begleiten. Ich danke dem Erfinder der Ohrstöpsel.
Erster Halt kurz nach der Grenze in Polen. Die Raststätte mit dem Superklo. Auch diesmal wieder ausdrücklich empfohlen von unserm Fahrer.
Danach geht es im 4-Stunden-Takt: Krakau Klo (wichtig: bezplatni – kostenlos), dann Grenze.
Eine wunderbare Grenze. Eine richtige Grenze. Wo du noch merkst, dass du von einem Land in ein anderes wechselst. Wo es immer ein wenig kribbelig ist: Was wird diesmal durchsucht? Wer muss diesmal raus? Wie lange wird alles dauern?
Also erstmal eine knappe Stunde vor der Grenze stehen. Nicht, dass viel los wäre. Es erhöht einfach die Bedeutung des Folgenden.
Einfahrt zur polnischen Kontrolle. Ein junger Mann sammelt alle Pässe ein, verschwindet damit. Wir warten. Eine zweite knappe Stunde später dürfen wir passieren.
Auf ukrainischer Seite wiederholt sich die Geschichte. Nur ist statt des Jungen nun eine dralle Grenzerin am Start.
Das wars heute auch schon, lediglich drei Stunden hats gedauert. (Wir freuen uns über jede Verlängerung, so müssen wir nicht früh um fünf in Lviv raus.) Aber jetzt: gleich das erste ukrainische Klo für alle, bezplatni. Die Ukrainer setzen ihre Handys in Gang.

Auf dem Stadtring um Lviv fallen uns etliche sehr neue Häuser auf. Wer Euros oder Dollar hat, profitiert offensichtlich von der jetzigen Situation und dem Umtauschkurs.
Stryiskyi Busbahnhof morgens halb neun. Der „Doitsche Bratwurst“ Stand ist verschwunden, im uns bekannten Café räumen die Kellnerinnen noch das Geschirr vom Vortag weg.
Wir lassens und setzen im beginnenden Tröpfeln unsre Beine in Gang. Ein kleiner Telefon-Kiosk hat unsere Prepaid-Karte gerade nicht da. Dafür bekommen wir hier einen Kaffee und Auskunft. Ja, es ist weiterhin Marschrutka 3a, die ins Zentrum fährt.
Der Preis für die Fahrt ist auf 4 Hrivni gestiegen, für uns 20 Cent, für die Lviver eine Erhöhung um 33%. Die Bezahlung funktioniert wie gewohnt: Geld nach vorn durchgeben, Wechselgeld kommt auf dem gleichen Weg zurück, so einfach wie wirkungsvoll.
Wir gehen als erstes ins Hotel Lviv. Ja, sie haben oben in der 8. Etage immer noch diese nicht renovierten Zimmer. Waschbecken im Zimmer, Einrichtung aus sowjetischen Zeiten, Bettwäsche sauber, Dusche und Klo auf dem Flur. Sogar der Preis ist geblieben, nur sind es für uns jetzt nur 9€.

Der erste Bummel führt uns auf den Basar. Ach, diese herrlichen ukrainischen Basare. Hier gibt es einfach alles – was man braucht und was man irgendwann mal brauchen könnte. Uns reichen erstmal Pfirsische, schwarzer Tee und Butter.
Dann haben wir einen Reißverschluss zum Reparieren mit. Am Nähatelier laufen wir dreimal vorbei. Eine schmale Tür, ein Gang nicht breiter als diese, ein kleiner Raum mit sechs Nähmaschinen. Auf unsre Begrüßung reagiert keine der drei anwesenden Frauen. Also einfach weiter quasseln. So lange, bis die eine dann freundlich wird. Ja, geht alles klar, wir sollen die Jacke pünktlich gegen acht wieder abholen. Lagerkapazität gibt es nicht. Um acht ist sie noch da? Ja, bis zehn, Zwölfstundenschicht, jeden zweiten Tag.
Für den Druckknopf an meiner Hose schickt sie mich weiter zur nächsten Reparatur. Dieser Laden ist herrlich. Ein Tresen mit einer langen Schlange. Hier warten die Leute mit Regenschirmen und Knöpfen. In der Ecke ein Tisch für die Reparaturen an Lederjacken. Hier wartet nur eine – die Frau hinter dem Tisch. Sie lässt sich von der Schlange nicht aus der Ruhe bringen. Dann gibt es noch ein kleines Guckfenster. Dahinter sitzt der Uhrmacher. Wunderbare Gelegenheit, gleich mein Armband erneuern zu lassen. Er fragt mich sogar, ob er die silberne Schließe durch die schwarze von meinem alten Armband ersetzen soll.
Marjana ist inzwischen vorgerückt. Die Frau am Tresen ist unglaublich.Sie sieht sofort, was wie gemacht werden kann, ruft mittendrin Abholern auf Anhieb die Preise zu, lässt meinen Knopf von den Jungs hinten gleich machen und fertigt schon den Nächsten ab.
Und zack stehen wir wieder draußen – und sind beide gerührt. Ist es der direkte Kontakt? Ist es die Wertschätzung den kleinen Dingen gegenüber? Sogar gebrochene Regenschirmrippen werden hier noch repariert.
Uns (im reichen Deutschland) sind Werte verloren gegangen.