Das Leben voll nehmen

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Beim Reisen geht es nicht nur darum, Neues zu erfahren und zu erleben. Vielmehr bietet Reisen auch die Möglichkeit, das eigene Leben und Tun aus einer anderen Perspektive zu betrachten. Da tauchen manchmal interessante Fragen an mich selbst auf oder ordnen sich Dinge im Inneren neu. So erging es mir in Amaicha, wo, angeregt durch zwei Erlebnisse, der folgende Artikel über einen Teil meiner Arbeit, das erwachsene Bonding, entstand.

Während ich diesen Artikel schreibe, sitze ich in einem Hostel im Nordwesten Argentiniens. Es ist vom Besitzer kreativ designed, Metallskulpturen, freche Stühle, Malereien überall, eine interessante Mischung von Materialien und Ideen. Aber: Es ist leer, schmutzig, heruntergekommen; der Besitzer empfängt uns ziemlich angetrunken. Der Laden läuft allem Augenschein nach schlecht – trotz der künstlerischen Kreativität.
Kurz vorher habe ich Nachricht von einem Bekannten erhalten, dass er sehr schwer erkrankt ist. Er muss, wohl für sehr lange Zeit, im Krankenhaus bleiben und seine Wohnung aufgeben. Es geht jetzt um sein Leben. Er genieße gerade einfach nur die Ruhe im Krankenhaus und die liebevolle Zuwendung derer, die ihn versorgen.

Was haben beide Geschichten gemeinsam?
Sie handeln von Menschen, denen es nicht gelingt, das Leben zu nehmen, die Kraft, die Freude, das Gute des Lebens anzunehmen.
Der Besitzer des Hostels erzählt, ihm explodiere die Seele, das müsse nach außen, deshalb gestalte er so viel. Nur kommt eben nichts (oder nur wenig) an, was seine Seele nährt und sie aufbaut.
Er lässt uns kaum in Ruhe, will viel Kontakt. Und zugleich kann er den nicht annehmen, es kommt in seinem Inneren nicht an.
Bei meinem Bekannten im Krankenhaus war es bisher ebenso. Er war ein Einzelgänger, hatte sich weitgehend autonom gemacht. Er hatte sein Leben auf einem bescheidenen Niveau selbst in der Hand – doch es gab auch bei ihm nur wenig, was zu ihm durchdrang und seine Seele stärkte. So wurde er, im Grunde logischerweise, lebens-krank. Und erst jetzt, fast auf der Grenze, scheint er anzufangen, sich mehr zu öffnen. Die Hilfe und Zuwendung des Personals erlebt er sehr bewusst.

Zuwendung und menschliche Nähe sind Nahrung für unsere Seele, genauso wie das Essen die Nahrung für den Körper ist.
Wir müssen essen, das liefert Energie und Vitalstoffe zum Existieren. Ebenso brauchen wir Zuwendung, müssen wir gesehen, gehört und beachtet werden. Sonst ist zunächst unser Wohlfühlen und Zufriedensein beeinträchtigt, die Freude am Leben und Lieben schwindet. Das geht schließlich an die Existenz.
Denn der Körper reagiert auf Lebens-Unlust mit Krankheiten. Er will uns hinweisen darauf, das Seelen-Nahrung fehlt. Leider werden die Symptom-Signale gerne überhört und übertüncht.
Das ist, als wenn bei einem Auto die Ölwarnleuchte blinkt. Und dann wird einfach ein Pflaster genommen und darüber geklebt, damit das Blinkern nicht mehr stört. Eine Weile geht das, das Auto fährt noch. Doch irgendwann fährt sich der Motor fest. Nun ist der Schaden groß.
Bei uns Menschen nehmen dann im Laufe der Zeit die Krankheiten zu, werden lebensgefährdender, oder der Motor des Herzens fährt genauso fest. Nicht umsonst gehören Herz-Kreislauf-Krankheiten zu den häufigsten hierzulande.

Natürlich hat es mit den Erlebnissen unserer Kindheit zu tun, wenn es uns weniger oder mehr schwerfällt, Zuwendung anzunehmen.
Wer beim Essen Zeug bekommt, was nicht schmeckt; wo die Suppe oft dann auch Magenkrämpfe verursacht; wo Essen damit verbunden war, gedemütigt, geschlagen oder blamiert zu werden; oder wenn es viel zu wenig bis fast gar nichts gab – da vergeht einem die Lust am Essen. Da bleibt man hungrig. Da muss eine/r Tricks entwickeln um durchzukommen.
Mit Liebe und Zuwendung geht es uns ebenso.

Was wir so als Kinder lernten, ist erstmal gelernt und in unserem Gehirn entsprechend abgespeichert. Das kann dann dazu führen, dass wir als Erwachsene quasi vor einem reich und schön gedeckten Tisch sitzen und trotzdem fast verhungern. Weil wir nicht gut genug gelernt haben zu nehmen.
Es fällt schwer, erwachsen umzuschalten und Liebe, Wohlwollen und Nähe anzunehmen.
Mit annehmen meine ich hier wirklich an-nehmen. Das ist ein aktiver Vorgang! Das ist mehr als über-sich-ergehen-lassen. Das heißt auch, nicht sofort etwas zurückzugeben. Sondern erstmal: nehmen!

Das ist dann erwachsenes Bonding.

Es hört sich einfach an – und das ist es auch. Nur: Es ist nicht leicht.
Denn es ist mit Ängsten verbunden. Das Kind in uns lamentiert: Dann gebe ich mich auf! Dann werde ich abhängig! Dann werde ich beschämt! Dann werde ich abgelehnt!
Es können lange erfolgreich unterdrückte Gefühle auftauchen: abgrundtiefer Hass zum Beispiel oder ein tiefes Gefühl von Einsamkeit und Verlorensein.
Diese Gefühle gilt es, in einem geregelten Maß, auszuhalten und durchzuleben, um sie neu einordnen zu können.
Deshalb will erwachsenes Bonding gelernt und geübt sein.

Dafür braucht es Räume und Menschen, wo man sich sicher, geschützt und unterstützt fühlen kann. Nichts wäre schlimmer, als die alten, leidvollen Erfahrungen wiederholen zu müssen.
Deshalb biete ich im jipz Bonding-Workshops für Erwachsene an.

Mir selbst hat vor fast 30 Jahren das Bonding geholfen, eine schwere Trennung zu verarbeiten. Ich war erstaunt, wie stark der unterdrückte Zorn vieler Jahre aus mir herausbrach. Ich habe meinen Körper, insbesondere meine Hände, in einer Weise lebendig erlebt wie nie zuvor. Und bei einer befreundeten Teilnehmerin habe ich miterlebt, wie ihr die schon anberaumte Darmoperation erspart blieb.
Durch Bonding!

Wie eine wertvolle und vollwertige Nahrung über die körperliche Ebene vieles in uns wieder ins Gleichgewicht zu bringen vermag, so kann erwachsenes Bonding alte Seelen- und Beziehungswunden und deren Auswirkungen heilen.
Und noch mehr: Es lässt dich die Lust und die Freude am Leben wiedergewinnen.
Das Leben voll nehmen!